Gleiche Kinder gleiche Rechte!?
Auf dem LAG 78 Arbeitsgemeinschaftstreffen wurde das folgende Positionspapier, das vom SpielTiger e.V. eingebracht wurde, verabschiedet. Die Arbeitsgemeinschaft nach § 78 SGB VIII (Sozialgesetzbuch Achtes Buch) dient der Koordination von Angeboten und der Vernetzung der institutionellen Akteure der Kinder- und Jugendhilfe.
Positionspapier vom 13.02.2023
Gleiche Kinder – gleiche Rechte!?
Alle Kinder und Jugendlichen haben ein Recht auf Bildung, auf Ruhe und Freizeit, Spiel und altersgemäße aktive Erholung sowie auf freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben. Diese Rechte sind in der UN-Kinderrechtskonvention verbürgt und sie gelten unabhängig von Alter, Staatsangehörigkeit und Religion.
In den vergangenen Jahrzehnten ist immer wieder eine große Anzahl von Menschen und damit auch von Kindern und Jugendlichen alleine oder gemeinsam mit ihren Familien vor Krieg, Verfolgung und Armut geflohen. Viele von ihnen haben auf ihrer Flucht Ausgrenzung erlebt und teilweise traumatische Erfahrungen gemacht.
Auch gegenwärtig sucht eine große Zahl von Kindern und Jugendlichen aus vielen Staaten der Erde mit oder ohne ihre Eltern in Hamburg Zuflucht. Wie auch zu Zeiten anderer großer Flüchtlingsbewegungen stellt die Stadt mit großem personellem und finanziellem Einsatz und in guter Zusammenarbeit mit freien Trägern und Initiativen ihre Versorgung sicher. Unter anderem stellt sie Erstaufnahmen und Folgeunterunterkünfte bereit, um so der Wohnungslosigkeit auf dem angespannten Wohnungsmarkt entgegenzuwirken. Oftmals werden Geflüchtete in Durchgangsunterkünften und Sammellagern untergebracht. In den über 100 Unterkünften in Hamburg leben ca. 50.000 Menschen unterschiedlicher Kulturen, Religionen, Nationalitäten und wohnungslose Menschen auf engstem Raum zusammen. In den einzelnen Unterkünften leben oftmals zwischen 300 bis 900 Menschen. In der Regel sind davon die Hälfte Kinder.
Das Jahr 2022 stellt jedoch eine Zäsur in der Versorgung und Betreuung geflüchteter Menschen und damit auch junger Menschen in Hamburg dar. Durch die EU-Massenzustrom-Richtlinie werden Geflüchtete erstmals unterschiedlich behandelt. Geflüchtete aus der Ukraine erhalten ohne individuelles Verfahren einen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG, können schneller Sprachkurse belegen und Wohnungen oder privat angebotenen Wohnraum beziehen. Zudem dürfen sie unter bestimmten Voraussetzungen arbeiten und erhalten seit Juni 2022 Leistungen nach SGB II/SGB XII. Für Geflüchtete aus anderen Staaten gelten nach wie vor die ursprünglichen Regeln. Ihre Lebenssituation ist auch weiterhin durch einen unsicheren Aufenthaltsstatus und oftmals ungewisse Zukunftsaussichten geprägt. Dies hat gravierende Auswirkungen auf die betroffenen Kinder und Jugendlichen, die teilweise seit mehreren Jahren in einer Unterkunft leben müssen.
Der LAG Kinder- und Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit ist bewusst, dass der Einfluss des Landes Hamburg auf die europa- und bundesrechtlichen Vorgaben begrenzt ist. Trotzdem weist die LAG noch einmal auf das fundamentale Anliegen der Kinder- und Jugendarbeit hin, die universale Geltung der Kinderrechte auch in den Wohnunterkünften sicherzustellen und damit langfristig den gesellschaftlichen Zusammenhalt in dieser Stadt zu gewährleisten.
Wohnen
Die Ungleichbehandlung Geflüchteter, die mit dem angeordneten Auszug von Familien aus den Unterkünften zugunsten ukrainischer Geflüchteter begann, dauert bis heute an. Sie wird unmittelbar sichtbar durch Zäune zwischen Gebäuden und durch Geschenke, die nur für eine Gruppe der Geflüchteten bestimmt sind. Gerade Zäune können zudem die bereits bestehende Segregation im Sozialraum verstärken und dazu beitragen, dass Kinder in den Unterkünften nicht mit anderen Kindern aus dem Sozialraum in Kontakt kommen.
Die Ungleichbehandlung sorgt immer noch für Unverständnis und Unmut unter den Bewohner*innen in den Wohnunterkünften. Sie geht insbesondere zu Lasten der Kinder, die bereits seit vielen Jahren ohne Perspektive in Unterkünften leben. Sie haben in den prekären Wohnverhältnissen kaum Möglichkeiten für Rückzug und Erholung.
Bildung
Bildung ist der Schlüssel zu einer positiven individuellen und gesellschaftlichen Entwicklung. Sie befähigt Menschen dazu, ihre Persönlichkeit zu entfalten und ein erfülltes Leben zu führen. Bildung stärkt Demokratie, fördert Toleranz und eine weltbürgerliche Haltung.
Immer noch kommt es vor, dass Kinder in Einrichtungen über längere Zeit nicht beschult sind und dass Unterricht in den Erstaufnahmeeinrichtungen mangels Lehrpersonals nicht immer wie geplant stattfinden kann. Einige Kinder haben teils lange Anfahrtswege in die Schule, die nicht nur eine zusätzliche Anstrengung bedeuten, sondern auch Auswirkungen auf die soziale und kulturelle Teilhabe haben.
Nachhilfe, für einige Kinder dringend erforderlich, wird nicht in ausreichendem Maße angeboten. Die häufig von Ehrenamtlichen geleisteten Angebote in den Unterkünften sind während der Corona-Pandemie größtenteils weggefallen und fehlen. Obwohl keine originäre Aufgabe der Offenen Kinder- und Jugendarbeit werden die Träger damit konfrontiert. Es ist aber nicht die originäre Aufgabe der OKJA, schulische Förderung zu übernehmen und wäre ohne eine finanzielle Förderung auch gar nicht zu leisten.
Spiel und kulturelle Teilhabe
Kinder haben ein Recht auf Spiel und altersgemäße aktive Erholung sowie auf freie Teilnahme am künstlerischen und kulturellen Leben. Die bisherigen Erfahrungen sowohl mit den Sportverbänden als auch mit vereinzelten Projekten zeigen, dass die Angebote unterschiedlicher Träger in den, aber auch außerhalb der Einrichtungen positiv wirken.
Vor allem in isoliert gelegenen oder größeren Einrichtungen (Stadtrand, Gewerbegebiet) fehlt den Kindern und Jugendlichen häufig ein Zugang zu Angeboten im Stadtteil. Die bisherigen Angebote vor Ort sind ausbaubedürftig. Hier stößt die Arbeit der Träger häufig an Grenzen mit der Folge, dass Kinder isoliert sind und keine Beziehungen zu anderen Gleichaltrigen außerhalb der Einrichtung aufbauen können. Größere Gruppenräume und stationäre Angebote wären wünschenswert.
Unterstützung der Eltern
Es ist in erster Linie Aufgabe der Eltern im Rahmen ihrer Fähigkeiten und finanziellen Möglichkeiten die für die Entwicklung des Kindes notwendigen Lebensbedingungen sicherzustellen. Vielen der in Einrichtungen für Geflüchteten lebenden Eltern ist dies aus unterschiedlichen Gründen (fehlende Sprach- und Rechtskenntnisse, keine Arbeitsmöglichkeit, Traumatisierung, mangelnde Bildung, kulturelle Unterschiede) nicht in vollem Umfang möglich. Gerade für traumatisierte Kinder ist es kontraproduktiv, ihre Eltern als nicht handlungsfähig zu erleben.
Eltern zu stärken, trüge unmittelbar auch zu einer Stärkung und Entlastung ihrer Kinder bei. Kinder würden aus der nicht kindgerechten Verantwortung für ihre Eltern entlassen (Übersetzung, Begleitung) und erlebten diese zugleich als handlungsfähige Subjekte.
Die Unterstützung der Eltern ist deshalb ein wesentlicher Schritt zur Stärkung und besseren Unterstützung von Kindern. Patenschaften für geflüchtete Familien, Stadtteilmütter, aber auch die stärkere Nutzung der in den Einrichtungen bereits vorhandenen Fähigkeiten und Kenntnisse wären hilfreiche Schritte auf dem Weg zu mehr Integration und Teilhabe und in Regelstrukturen.
Die Perpetuierung der SIN-Mittel und die geplante stärkere Ausrichtung der Familienförderung auf geflüchtete Familien ist deshalb ein wichtiger Ansatz; wichtig ist es aber auch hier, den Fokus auf alle Geflüchteten zu richten und die erforderlichen Ressourcen (Personal und Bewegungsräume) zu schaffen.
Fazit
Die Mitglieder der LAG Kinder- und Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit sind sich den Herausforderungen bewusst, mit denen alle staatlichen und nicht-staatlichen Akteure konfrontiert sind. Sie sind sich auch der Tatsache bewusst, dass der Wohnungsmarkt angespannt ist und dass dies auf absehbare Zeit so bleiben wird.
Umso wichtiger ist es, dass alle Geflüchteten gleich behandelt werden und dass in und um die Wohnunterkünfte herum, die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Kinder und Jugendlich verstärkt die Gelegenheit haben, ihre Rechte zu realisieren.
Hamburg, 13.02.2023